Beiträge von pelletsburner im Thema „Golem: Debian bekommt Probleme mit proprietärer Firmware“

    Das Problem ist aber tiefer in Debian verankert. Debian war früher mal innovativ und eine führende Distribution. Man hat neue Dinge ausprobiert. Irgendwie ist die Community aber in der Zeit stehen geblieben - schade drum.

    Das ist etwas, was in der IT sehr häufig passiert, auch im klassisch kommerziellen Bereich, ich selbst (seit bald 22 Jahren hauptberuflich als Entwickler, Architekt und Teamlead tätig) muß genauso ständig ankämpfen "mit mir selbst".

    Modell "Star-Programmierer", das ist der Klassiker:

    Hat vor 10 Jahren die Firma mit aufgebaut, gilt als "graue Eminenz" oder "unantastbarer Guru", der aber 2022 noch immer Win32-API mit C++ umsetzt, weil (man verzeihe mir meine Französisch) "garbage collection ist so ein Dreck" und "das ganze neumodische Zeug macht alles nur langsam" und "JIT, was ist das".

    Aus dem ursprünglichen "Retter" oder "Helden" wird dann irgendwann der Einfaltspinsel, der komplett im "Cargo Cult-Engineering" hängen bleibt und so Sachen wie Clean Code Development oder funktionale Programmierung für universitäre Verschwörungen hält. "Das ist ja alles profi" - bin Österreicher, da ist das eine semi-gängige Formulierung.

    Mir gings am Anfang auch so, in meinem ersten Job als Entwickler. Ein alternder Leiter der Softwareentwicklung, der 2001 noch an Techniken und Strategien aus den frühen 90ern (Windows 3.x-Zeitalter) festhielt und sich für "fortschrittlich" hielt, weil er es geschafft hat, die MFC zu erlernen, das war für mich damals zum Glück ein Weckruf.

    Hab das Problem für mich dann, so hoffe ich, gelöst: ich challenge mich immer selber, ich hab mir, obwohl mir klar war, daß ich das nie beruflich einsetzen würde, vor vielen Jahren F# und Haskell angeschaut, hab in der Firma, in der ich dann ab 2010 für über 10 Jahre als Softwarearchitekt / Solution Designer tätig war, gegen große Widerstände das SOLID-Prinzip und dergleichen eingeführt. Derzeit z.B. sehe ich mir semi-intensiv das Thema "Rust" an.

    Das Hauptproblem ist, daß der eigene Horizont immer mehr schrumpft, je sicherer man sich seines Standpunkts ist. Dann wird das Podest, auf dem man steht, zu Treibsand.

    Vermutlich das gleiche Problem hier auch: man ist sich seines Standpunktes zu sicher, man denkt, daß die Flugzeuge mit den tollen Geschenken schon kommen, wenn man nur ausreichend auf der improvisierten Gras-Landebahn mit den Armen wachelt.

    Lösen kann man das Problem nur indem man verhärtetes / doktrinäres Denken aufgibt und seinen Geist öffnet. Man muß verstehen lernen, daß vielleicht Firmen, die Firmware und Treiber hergeben für Linux, auch in veralteten, inflexiblen Strukturen verhaftet sind (ich hab lange in einem Konzern gearbeitet, dort muß man oft um jeden Kugelschreiber gegen 20 Leute kämpfen, für ein RAM-Upgrade 5 wortreiche JIRA-Tickets absetzen, jetzt stelle man sich vor, man möchte dort eine FOSS-Strategie einführen... selbst wenns gut fürs Unternehmen wäre, nach 3 Wochen bist mit den Nerven am Ende gegen das Betonschädel-Mikado) und oft gar keine böse Absicht dahintersteckt sondern einfach "Strukturen" und "Prozesse" einen vernünftigen Umgang mit "dem bisserl Treibercode" nicht zulassen.

    Um das noch zu verdeutlichen:

    Mein Whiteboard fürs Homeoffice hab ich mir 2020 selber gekauft. Der Konzern hätte es nur bezahlt, wenn ich vorher einen massiven, schmerzhaften Canossagang angetreten hätte, der mich möglicherweise mehr an Lebenszeit und psychischer Gesundheit gekostet hätte als die 35 Euro, die ich bei Amazon für das Teil abgedrückt habe.